Hans Wegmann, Pfarrer in Winterthur: Die religiöse Lage der Gegenwart und das freie Christentum.

sehr guter Zustand, geringe Gebrauchs- und Alterungsspuren, Länger schon, als das wirtschaftliche, steht das geistige Leben Europas in einer schweren, tiefeingreifenden Krise. Festeste Grundlagen sind erschüttert. Heilige Normen sind angefochten oder gestürzt. Wir erleben einen Prozeß der Auflösung, wie ihn in diesem Ausmaß Europa selten erfahren hat. Das bedeutet freilich nicht unbedingt einen Schaden. Das Geistesleben bedarf immer wieder der Erschütterung und selbst einer gewissen Auflösung, wenn es nicht erstarren und verholzen und schließlich steril werden soll. Es ist zu begrüßen, wenn in Fluß kommt, was stagnierte, wenn wieder fraglich wird, was andere zu sicher als unfehlbare Wahrheit verehrten. Wirkliches Leben erhält sich nur durch ständiges Sterben und Auferstehen. Wie das Samenkorn nur dann Frucht bringt, wenn es sich in der Erde auflöst und damit wieder ganz in das flutende Leben mit all seinen gefahrvollen Möglichkeiten eingeht, so müssen auch geistige Wirklichkeiten immer wieder im Strom des Lebens untertauchen und in neuer Gestalt erstehen, wenn sie nicht unfruchtbar werden sollen. Doch in der Gegenwart spielt sich wohl das Vergehen, nicht aber zugleich oder doch in weit bescheidenerem Maße das Auferstehen ab. Die Ideale des 19. Jahrhunderts sind verblaßt und kraftlos geworden, ohne daß ebenso starke und lebendige an ihrer Stelle aufgetaucht wären. Die alten Gesetzestafeln sind zertrümmert, aber unser Geschlecht hat keine neuen für sie gefunden, kartoniert, ca. 13,5 x 20, 32 Seiten