Baum, Marie. Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe. Bericht erstattet an das Großherzogliche Ministerium des Innern und herausgegeben von der Großherzoglich Badischen Fabrikinspektion. Karlsruhe, G. Braun 1906. Gr.-8°. XI, 232 S. mit einigen Tabellen u. einer Karte. Hln. mit mont. Orig.-Umschlag.
Sehr seltene erste Ausgabe der ersten selbständigen Buchveröffentlichung der Soziologin und Frauenrechtlerin. – Die Chemikerin und Politikerin M. Braun (1874-1964), geb. in Danzig, arbeitete nach ihrem Studium in Zürich seit 1899 als Chemikerin bei der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation (AGFA) in Berlin. „Die dort erfahrenen Missstände durch profitorientierte rücksichtslose Unternehmer und daraus resultierende unzumutbare Arbeitsbedingungen veranlassten sie, ihr weiteres Leben in den Dienst der sozialen Fürsorge zu stellen. Sie kündigte bei AGFA und zog 1902 nach Karlsruhe, wo sie als Nachfolgerin von Else Jaffé-von Richthofen beim Badischen Innenministerium die Stelle einer Fabrikinspektorin antrat. Ihre Aufgabe war es, die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen für die etwa 55.000 Frauen und circa 17.000 Jugendlichen in badischen Betrieben zu überwachen. 1906 erschien im G. Braun Verlag Baums erste Publikation über die soziale Lage der Lohnarbeiterinnen in Karlsruhe, die sie für die hohe Säuglingssterblichkeit verantwortlich machte. Wegen ständiger Differenzen mit dem Vorstand der badischen Fabrikinspektion, Karl Bittmann, nahm sie 1907 die Stelle der Geschäftsführerin des „Vereins für Säuglingsfürsorge“ im Regierungsbezirk Düsseldorf an, wo sie ihr Konzept einer gezielten Familienfürsorge entwickelte. Als Abgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gehörte Baum der Weimarer Nationalversammlung und als Abgeordnete des Wahlkreises Schleswig-Holstein dem ersten Reichstag der Weimarer Republik an. 1919 kehrte sie als Referentin für Wohlfahrtspflege beim Badischen Arbeitsministerium (ab 1924 Innenministerium) nach Karlsruhe zurück. Für die Betreuung notleidender Kinder der Nachkriegszeit verantwortlich, baute sie ab 1920 auf dem Heuberg in der Schwäbischen Alb ein mustergültiges Kinderdorf für etwa 1.000 Kinder auf, das bis zu seiner Auflösung durch die Nationalsozialisten 1933 über 100.000 Kindern aus ganz Deutschland als Erholungsheim diente. Aufgrund mangelnder Unterstützung von staatlicher Seite gab Baum 1926 die Referentenstelle auf. 1927 veröffentlichte sie ihr Standardwerk zur Familienfürsorge. Von 1928-1933 und 1946-1952 war sie Lehrbeauftragte für soziale Fürsorge und Wohlfahrtspflege an der Universität Heidelberg. Während des Lehrverbots im Dritten Reich aufgrund ihrer jüdischen Großmutter Rebecka Mendelssohn-Bartholdy half sie jüdischen Bürgern bei der Ausreise. Zum 75. Geburtstag 1949 erhielt sie von der Universität Heidelberg die Ehrenbürgerwürde sowie zum 80. Geburtstag 1954 das Bundesverdienstkreuz. Die Marie-Baum-Straße in Karlsruhe wurde 2000 nach ihr benannt“ (K. Förster im Stadtlexikon Karlsruhe). – „In ihren Begabungen und Interessen spiegelt sich das Erbe verschiedener Vorfahren: der naturwissenschaftliche Drang ihres Großvaters Peter Gustav Lejeune Dirichlet, eines berühmten Mathematikers, und ihres Vaters, der aus einer Medizinerfamilie stammt und dessen soziale Empathie; das demokratische, freiheitsliebende Engagement ihrer Großmutter Rebecka Lejeune Dirichlet, geb. Mendelssohn Bartholdy, und ihrer Mutter Flora, die sich für die Frauenbewegung einsetzt, die Bereitschaft zur Grenzüberschreitung. Unter den Nachkommen Moses Mendelssohns gehört sie mit Fanny Hensel, ihrer Großtante, und deren Tante Dorothea Schlegel zu den selbstbewussten Frauen, die gegen Rollenerwartungen der Gesellschaft ihren eigenen Weg finden“ (Mendelssohn-Gesellschaft). – St. a. D., V. u. T., sehr gutes sauberes Exemplar.
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